Joachim Guilliard
Die Zeichen stehen auf Sturm in Nah-Ost
[Der folgende Text erschien, leicht gekürzt unter dem Titel "Bodenloser Hass - Irak auf US-Abschusslistenplatz number 1" in ak - analyse & kritik (http://www.akweb.de), Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 459 / 22.02.2002]
Die nächste Front sei offensichtlich der Irak, sagte US-Senator McCain am Samstag auf der 38. "Sicherheitskonferenz" in München. In einer aggressiven Rede, die vor allem bei den ebenfalls anwesenden Vertretern Chinas und Rußlands auf heftigen Widerspruch stieß, sagte McCain, die Zeit der Abrechnung rücke näher. Die US-Regierung sei entschlossen, Saddam mit Gewalt aus dem Amt zu jagen - im Zweifelsfall auch gegen den Willen der Europäer, assistierte der Sonderberater für Sicherheitsfragen Richard Perle,. "Ich denke, es gibt nichts, was Saddam Hussein tun könnte, um uns zu überzeugen, dass vom Irak keine Gefahr mehr ausgeht", sagte Perle der Financial Times Deutschland. Dies könne nur ein Regimewechsel bewirken.
Zwar beeilten sich offizielle Stellen in den USA zu versichern, es bestünden keine konkreten Angriffspläne, am selben Tag berichtete aber die im Golfstaat Katar erscheinende Zeitung «Ar-Raya» die USA hätten mit konkreten Vorbereitungen für einen Militärschlag gegen den Irak begonnen. Dazu seien Manöver gestartet und Geheimdienstkontakte aufgenommen worden und der US-Gesandte für den Nahen Osten, William Burns, habe bei seiner jüngsten Reise durch die Region um politische Unterstützung für den Sturz Saddams geworben."
Die ABC-Einheiten der Bundeswehr, die sich ebenfalls zum Manöver nach Kuwait aufgemacht haben, könnten sich also unversehens in einem echten Kriegsgeschehen wiederfinden.
Nach George W. Bushs Bericht zur Lage der Nation stehen die Zeichen nun eindeutig auf Sturm.
In seiner von Beifallstürmen begleiteten Rede, hat der US-Präsident seine Zuhörer auf noch mehr, noch umfassendere und auch riskantere Krieg eingestimmt. Die tatsächliche Bedrohungssituation auf den Kopf stellend, kündigte er an, nicht zu warten, bis die Gefahr näher rücke und die "weltweit gefährlichsten Regimes" die USA "mit den weltweit gefährlichsten Massenvernichtungswaffen" bedrohen.
"Wir haben ernst zu nehmende Feinde mit bodenlosem Hass und - bald - den entsprechenden Waffen" faßte die Washington Post die Botschaft des Präsidenten zusammen. "Ob sie in den 11.September verwickelt sind, ist irrelevant. Wir sind in einem Rennen gegen die Zeit. Wir müssen sie erwischen, bevor sie uns erwischen." (1) Doch keine vergleichbar hochgerüsteten Mächte, wie die dramatischen Worte nahelegen, wurden als lauernde Feinde präsentiert, sondern drei in jeder Hinsicht unterlegene Länder der "Dritten Welt": Nord Korea, Iran und Irak. Gewarnt wurden damit auch alle, die sich nicht uneingeschränkt hinter die USA stellen wollen - nationale Eigenmächtigkeiten können als Feindschaft, eine eigene Armee als Bedrohung definiert werden. Auch Venezuela unter dem unbequemen Hugo Chavez könnte so bald ins Visier geraten. (2)
Bush kann im eigenen Land offenbar auf breite Zustimmung für seinen Kriegskurs zählen, der sich potentiell gegen alles richtet, was US-amerikanischen Interessen im Wege steht, und für eine Politik, die sich von den letzten Fesseln befreit, die den USA Völkerrecht, internationale Abkommen und Rücksichtnahmen auf Bündnispartner bisher noch auferlegten.
Dadurch dass sie Opfer der Terroranschläge geworden seien, hätten die USA das Mandat entsprechend zu handeln, erklärte der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz auf der Münchener Konferenz.
Mit ihrer Beteiligung durch Bundeswehreinheiten vor Ort unterstützt die deutsche Regierung aktiv diesen Kurs nicht zuletzt fördern die deutschen ABC-Truppen ebenfalls den Eindruck, einer akuten, vom Irak ausgehenden Gefahr.
Die allernächsten Kriegshandlungen werden wohl in Ländern wie den Philippinen oder Somalia stattfinden, um zunächst die "niedrig hängenden Früchte zu pflücken", (3) doch im Zentrum des US-amerikanischen Interesses steht der Irak. Indem nun auch Außenminister Colin Powell vor dem Kongreßausschuß für auswärtige Beziehungen am 6.2. öffentlich für einen Sturz des irakischen Regimes eintrat, ist es offensichtlich, daß die bündnisorientierten Pragmatiker im Außenministerium an Einfluß verloren haben und dem Kriegskurs keine größeren Widerstände mehr entgegensetzen.
Keine Rolle spielt dabei, daß selbst die CIA Anfang des Monats versicherte, daß Verbindungen des Iraks mit terroristischen Aktivitäten ausgeschlossen werden können (4) und im Februar letzten Jahres zugeben mußte, keine Hinweise dafür zu haben, daß der Irak seit Ende 1998 als der viertägige Krieg der USA und Großbritanniens die UN-Rüstungskontrollen beendete wieder Programme zum Bau von Massenvernichtungswaffen aufgenommen hätte. (5)
Die häufig angeführte Bedrohung durch den Irak ist ohnehin absurd. Wie könnte ein Land, dass offensichtlich 1991 auf der Höhe seiner militärischen Fähigkeiten das 42-tägige Dauerbombardement hilflos über sich ergehen lassen musste, nach umfangreichen Abrüstungsmaßnahmen (unabhängig wie vollständig sie tatsächlich waren), Zerstörung der industriellen Infrastruktur und 11-jährigem Embargo eine Bedrohung für die Supermacht oder unter ihrem Schutz stehenden Staaten, darstellen eine so große sogar, daß man vorsorgliche "Gegenschläge" führen muß.
Die unversöhnliche Feindschaft der aktuellen imperialistischen Supermacht gegen das Baathregime hat bekanntlich mit der Nationalisierung der Ressourcen des Landes, Anfang der 70er Jahre begonnen. Eine Feindschaft, die nur eine Zeitlang überlagert wurde, durch eine Politik, die im Iran unter Ajatollah Khomeini das größere Übel sah. Durch den "Zweiten Golfkrieg" konnte schließlich der Irak als eigenständiger regionaler politischer wie wirtschaftlicher Faktor weitgehend ausgeschaltet und über das Sanktionsregime auch wieder eine gewisse Kontrolle über das irakische Öl erlangt werden.
Doch trotz umfassendem Embargo und einem fortgesetztem Krieg niederer Intensität blieb der Sturz Saddam Husseins aus und die USA müssen statt dessen mit ansehen, wie die Sanktionsfront bröckelt, sich der Irak Schritt für Schritt aus seiner Isolierung befreit und sie selbst in der Region zunehmend politisch an Boden verlieren.(6)
Neben der Sicherung ihrer geostrategischen Interessen in der gesamten Region, geht es der Bush-Regierung die ja auch persönlich mit der Ölindustrie so eng verbunden ist, wie keine zuvor (7) nun auch darum, endlich wieder unmittelbaren Zugriff auf das irakische Öl zu erhalten. Das Hauptgeschäft beim Öl wird schließlich bei der Förderung gemacht und im Boden der Länder dieser Region liegen, nach aktuellen Schätzungen, Ölreserven, die nach heutigen Preisen, Gewinne von mehr als 10.000 Mrd. US-$ erwarten lassen. Der Irak hat davon den zweitgrößten Anteil. (8)
Einem Krieg zum Sturz Saddam Husseins stehen allerdings noch größere Hindernisse entgegen. Die Nachbarstaaten, inklusive Saudi-Arabien, Iran, Ägypten und die Türkei, wie die gesamte Arabische Liga hatten sich von Anfang an dagegen ausgesprochen und auch die europäischen Verbündeten warnen vor einem solchen Schritt, der die gesamte Region in Aufruhr versetzen könnte.
Während aus der Türkei, nach intensiven Gesprächen mit den USA, zunehmend auch Äußerungen, kommen, die eine Unterstützung wahrscheinlich machen, blieben Saudi-Arabien und die anderen arabischen Staaten bei ihrer Ablehnung.
Es spricht dennoch einiges dafür, daß die USA unter Führung der Falken dabei sind, sich auf das riskante Abenteuer auch ohne volle Unterstützung der früheren Alliierten einzulassen.
Zum einen haben Wolfowitz, Kissinger und Co. stets deutlich gemacht, daß sie von "Rücksichtnahmen auf saudi-arabische und ägyptische Potentaten" genauso wenig halten, wie von UN-Resolutionen.(9) Ihnen drängt, wie Henry Kissinger gegenüber der Welt am Sonntag ausführte, die Zeit - "Phase II muß beginnen, solange die Erinnerung an die Attacke auf die USA noch lebendig ist". Ein Hindernis durch die "skeptische Haltung" Deutschlands, wie sich Außenminister Fischer ausdrückte und der anderen EU-Staaten, sieht Kissinger dabei nicht.
Zum anderen spricht auch die Einreihung des Iran in Bushs "Achse des Bösen" dafür, die eine grundlegende Änderung in der US-Politik gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten bedeutet. Nachdem es zunächst so ausgesehen hatte, als ob die USA Iran in ihre Koalition einbinden wollten, halten sie nun den bisher verfeindeten Nachbarn ihre gemeinsame Bedrohung überdeutlich vor Augen. Ein Bündnis zwischen Iran und Irak würde aber deren regionale Übermacht bedeuten, die die Anrainerstaaten in die völlige Abhängigkeit von den USA und damit in massive interne Schwierigkeiten bringen würde. Saudi Arabien könnte sich dadurch, so befürchten Kritiker des neuen Kurses in den USA, genötigt fühlen, die Kooperation mit Bagdad und Teheran zu suchen.(10) Mehren sich doch schon länger Stimmen auch in der Herrscherfamilie der Öl-Monarchie selbst, die angesichts der immer hemmungsloseren Kriegspolitik der USA gegen vorwiegend muslimische Ziele, die Herrschaft des Königshauses durch die Allianz mit den USA innenpolitisch eher gefährdet als geschützt sehen.
Bisher war Washington dagegen stets bemüht gewesen, die beiden Staaten gegen einander auszubalancieren und auch nicht zuzulassen, daß durch eine zu weit gehende Schwächung des Iraks, der Iran zur regionalen Vormacht werden könnte. Wolfowitz und Co. bauen aber darauf, dieser Gefahr nach einem erfolgreichen Krieg durch die rasche Ersetzung des irakischen Regimes durch ein pro-amerikanisches begegnen und den Iran mit einer zweiten Demonstration US-amerikanischer Macht in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kooperation zwingen zu können.(11)
Konkrete militärischen Maßnahmen der USA deuten daraufhin, dass die Vorbereitungen für einen Krieg gegen den Irak schon im Gange sind. So wurde bereits Anfang Dezember das Hauptquartier der "Dritten Armee" aus den USA nach Kuwait verlegt und mit ihm auch das "Kommando Mitte" der US-Armee ARCENT (Army Forces Central Command) (12). Dieses Kommando seit Oktober auch für Bodenoperationen in Afghanistan zuständig hatte 1991 die Bodenoperationen gegen den Irak geleitet. Das Hauptquartier der Luftwaffe (AFCENT) ist in Saudi Arabien, das der Navy (NAVCENT) ist nun in Bahrein, wo im Laufe des Februars auch das der Marine (MARCENT) erwartet wird.
Die Zahl der Kriegsschiffe und Flugzeugträger am persischen Golf war schon zuvor wesentlich erhöht worden, die Zahl der F-15 und F-16-Kampfflugzeuge wurde nahezu verdoppelt.
Gemäß Newsweek sahen erste Planungen vor, je 50.000 Soldaten nördlich und südlich des Iraks aufzustellen, um den Irak aus beiden Richtungen anzugreifen. Militärplaner zweifeln allerdings, ob diese Kräfte ausreichen würden, um Bagdad einzunehmen. Sie gehen davon aus, daß der Irak, indem er auch die Erkenntnisse des aktuellen Kriegs gegen Afghanistan auswertete, sich auf einen US-Angriff gut vorbereitet hat - u.a. durch Aufteilung seiner früher umfangreichen Divisionen in kleine bewegliche Einheiten, die von der überlegenen US-Luftwaffe schwerer zu bekämpfen seien.
Der aktuelle Oberkommandierende von USARCENT, General Paul Mikolashek, gab noch wenige Tage vor dem 11. September an, dass sie für einen Sturz des Regimes und die Besetzung des Landes Kräfte mindesten in der Größenordnung der Streitmacht im "Desert Storm" 1991 benötigen würden, wo ca. 169.000 US-Kampftruppen aufgeboten worden waren. Ranghohe Militärs seien allerdings sehr skeptisch, so Newsweek ob Bush bereit sei, einen so gewaltigen Feldzug in die Wege zu leiten und ebenso skeptisch auch Hoffnungen gegenüber einer möglichen Unterstützung durch eine inner-irakische Opposition, die ein Angriff auch mit geringerem Aufgebot möglich machen würde.(13)
Es ist unklar, in welchem Ausmaß schon zusätzliche Truppeneinheiten in die Region verlegt wurden. Auf die Internetnachrichtenagentur Debka.com gingen Meldungen in einigen Zeitungen zurück, die von neun Divisionen berichteten, die gerade unterwegs seien. Nun ist die in Israel ansässige Agentur zwar von zweifelhafter Seriosität und immer wieder im Verdacht, Sprachrohr israelischer Geheimdienste zu sein, einige Aspekte klingen aber durchaus plausibel. So berichtet Debka, dass die US-Militärplaner nur auf die volle Unterstützung dreier Länder der Region fest bauen, die auch eigene Truppen zur Verfügung stellen würden - die Türkei, Jordanien und Israel.
Ein Hinweis darauf, dass die USA tatsächlich auf die bisher für unabdingbar erachtete Unterstützung Saudi Arabiens zu dem das Verhältnis mittlerweile recht gespannt ist verzichten und lieber auf eine aktive Beteiligung Israel, ihres verlässlichsten und militärisch stärksten Verbündeten setzen könnten, kann in der Aufgabe jeglicher ernsthafter Vermittlungsbemühungen im israelisch-palästinensischen Konflikt und der Unterstützung Scharons Eskalation militärischer Gewalt gesehen werden..
Die Verlegung hunderter US-Soldaten nach Israel für gemeinsame gegen den Irak gerichtete Manöver, könnte zudem auch der Anfang der von debka.com angekündigten Zusammenfassung größerer US-Truppenkontingente in Israel sein.
Es steht somit zu befürchten, dass auch diesmal die Palästinenser neben den Irakern zu den Opfern eines erneuten Golfkriegs zählen werden.
Unterdessen hat der Irak sein Angebot vom letzten Frühjahr erneuert, Waffenkontrolleure ausgenommen britische und US-amerikanische wieder ins Land zu lassen, sobald es einen klaren Fahrplan zur Beendigung der Sanktionen gibt. Obwohl eine vernünftige Verhandlungsbasis, würde es tatsächlich um Rüstungskontrolle gehen, haben die USA jegliche Kompromisse wie stets abgelehnt. Der Irak wird aber, solange das Ende des mörderischen Embargos, das weit mehr Opfer forderte als jeder Krieg, weiterhin von der Willkür der USA abhängen, keine Kontrolleure akzeptieren, insbesondere keine aus den Staaten der Kriegsgegner, die zuvor jahrelang auch Zielkoordinaten für nachfolgende Angriffe übermittelt hatten.
Noch sind die Kriegsplanungen nicht abgeschlossen. Vizepräsident Cheney bereist im März die gesamte Region und wird dabei versuchen, möglichst viele Staaten doch noch zu einer Kooperation zu bewegen. Die meisten Beobachter in den USA rechnen aber mit einem Angriff noch in diesem Jahr.
Joachim Guilliard
Heidelberg, 11. Februar 2001
s. auch die folgenden Ergänzungen zum vorliegenden Text vom 22. Februar 2002
Anmerkungen: